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JUTZI
- MUTTER KRAUSENS FAHRT INS GLÜCK.
ANMELDELSE
Siegfried Kracauer,
Frankfurter Zeitung, Nr. 74, tirsdag 28.01.1930
"Mutter
Krausens Fahrt ins Glück": keines jener
Erzeugnisse, in denen Zille-Motive zu kitschigen
Zwecken mißbraucht worden sind, sondern ein
anständiger, sauberer Film, der dem Namen des
toten Meisters (und auch dem von Käthe Kollwitz)
Ehre macht. Die Prometheus-Gesellschaft hat ihn
hergestellt. Frei von Sentimentalität schildert
er das Wohnungselend in Berliner Proletariervierteln
und seine Folgen, Zustände also, die anzuschauen
not tut. In einer solchen kleinsten Hütte, in der
angeblich Raum für ein glückliches Paar ist,
hausen zu ihrem Unglück mehrere Paare zusammen:
Mutter Krause mit Sohn und Tochter, der Schlafbursche
und seine Geliebte, die Prostituierte ist und ein Kind
hat. Man hat dergleichen öfters in Filmen
gesehen, aber gewöhnlich nur als gruselige
Staffage für irgendein auserwähltes
Schicksal, das in prunkhaften Vorderhäusern happy
endigt. Hier hält das Hinterhaus bis zuletzt
seine Insassen fest. Der Schlafbursche, der eine
Verbrecher-Type ist, verführt unter anderem die
Krause-Tochter und bildet den Sohn zum Einbrecher aus.
Das mag unsympathisch sein; wo die Zustände
indessen so jammerbar sind, gibt man ihnen nach und
ist, wie man sein muß. Nur zwei Auswege sind
frei, um dem Zwang zu entrinnen. Mutter Krause benutzt
den einen: sie dreht den Gashahn auf und fährt
ins jenseitige Glück. Nun hat sie wenigstens Ruh.
Ihre Tochter entscheidet sich für den anderen
Ausweg. Sie gesellt sich zu einem organisierten
Arbeiter, der übrigens ausgezeichnet mit dem
Lumpenproletariat konfrontiert wird. Vielleicht
führt er sie in ein besseres Diesseits.
Der
Regisseur Piel Jutzi ist eine Hoffnung. Nicht etwa
deshalb, weil er, unterstützt vom "Wedding-Maler"
Otto Nagel, das Milljöh wieder einmal ausgebeutet
hat. Es ist schon mindestens ebenso treffend
gekennzeichnet worden. Manche Typen sind zu typisch,
und die übertriebene Gefräßigkeit der
Hochzeitsgäste ist eine Entgleisung. Auch
versteht sich Jutzi, einstweilen zu sehr ins Detail
verliebt, noch nicht auf die Kunst des Auslassens.
Aber er hat doch nicht wie andere den Russen nur die
Äußerlichkeiten abgeguckt, sondern wirklich
von ihnen gelernt. Seine Straßen-, Häuser-
und Hofaufnahmen sind großartig, seine
Übergänge sachlich begründet.
Unvergessen sei ihm vor allem der folgende szenische
Zusammenhang: In der Mitte des Stücks findet eine
Arbeiterdemonstration statt. Das verzweifelte
Krause-Töchterchen sucht die Reihen nach ihrem
Freund ab, den sie um Hilfe bitten will. Sie entdeckt
ihn und schreitet nun mit im Zug, da sie ihn anders
nicht sprechen kann. Kann sie ihn sprechen? Nein, sie
muß singen wie die Genossen, denn es wird
demonstriert. Wundervoll ist die allmähliche
Wandlung ihres Gesichts: wie aus dem Tränengrund
zögernd die Freude erblüht. Ganz am
Schluß, nachdem Mutter Krause bereits ins
Glück gefahren ist, kehrt dieser Auftritt
gedämpft wieder. Nur daß man jetzt nicht
mehr als die demonstrierenden Beine sieht. Ein
richtiges Symbol: das Ziel ist noch fern.
Ilse
Trautschold, die der jungen Schauspielergeneration
angehört, erbringt in der Rolle der Tochter einen
starken Befähigungsnachweis. Mit ihrem herben
Profil verkörpert sie ursprüngliche
Reinheit, die dem Schmutz standhält. Das ist
nicht angelernt (wenn es auch gelernt ist), sondern
kommt aus der Tiefe. Alexandra Schmidt als Mutter
Krause: das kleine gebückte Proletarierweib, eine
jener Figuren, die blitzschnell auftauchen und
unverrückbar in der Erinnerung haften bleiben.
Auch der Zuhälter Gerhard Bienerts und die Dirne
Vera Sacharowas sind echte Weddinggewächse.
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